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Das Embryonenschutzgesetz - eine Fächerverbindende Fallstudie

Das Embryonenschutzgesetz (ESchG) in der Sekundarstufe II für Sozialkunde und Biologie
Fächerverbindende Fallstudie zur moralisch - politischen Urteilsbildung

von Anke Schulz


(erschienen in: Gegenwartskunde 2000, H. 2, S. 227-234)

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Vollständiger Text mit Materialien
reihe02_textmat.pdf (68,2 KB)  vom 19.02.2007

Auszug

Konzeptionelle Grundidee

Im Zuge gesellschaftlicher Globalität wird heute vom Menschen ein komplexes Denken verlangt, das das Leben in immer spezifischeren Strukturen ermöglichen soll. Lernort muss hier auch die Schule sein, in ihr muss der Schüler die Möglichkeit haben, die Komplexität zu erkennen und er muss lernen, in ihr zu agieren. Es scheint wichtig, die naturwissenschaftlichen Unterrichtsfächer mit den geisteswissenschaftlichen Unterrichtsfächern zu verknüpfen, das Ineinandergreifen der Problematik von Forschung und Wissenschaft mit der Politik zu einem zentralen Betrachtungspunkt werden zu lassen. Nach Sander "läßt sich der politische Kern einer Problematik ohne Bezug auf Beiträge anderer Fächer gar nicht bearbeiten..." (Sander 1997).

In der vorliegenden Konzeption wurde versucht, durch einen fächerverbindenden Unterricht und durch das Prinzip der moralisch-politischen Urteilsbildung dem Schüler beispielhaft die Komplexität einer Problematik zu verdeutlichen sowie ihm eine Denkstruktur für das politisch-moralische Urteilen zu geben. Neben dem kategorialen Lernen sollen demokratische Fertigkeiten, wie das Diskutieren im Streitgespräch, geübt werden. Ebenso ist es Ziel, dass die Schüler erkennen, dass die Interessen des Einzelnen und des Gemeinwohls oft nur durch Kompromisse zu vereinbaren sind.

Gegenstand der Konzeption ist die Fortpflanzungsmedizin. Durch den Fortschritt in Wissenschaft und Technik stellt sich nicht mehr die Frage: "Was kann ich tun?" sondern vielmehr "Was ist machbar?" (Kaminsky 1998). Durch einen Zeitungsartikel wird den Schülern die heutige Dimension der Möglichkeit auf dem Gebiet der Fortpflanzungsmedizin eröffnet. Dabei spielen die Kategorien: Schutz des ungeborenen Lebens, Selbstbestimmung der Frau, Fortschritt von Wissenschaft und Technik sowie das Gemeinwohl eine zentrale Rolle. Durch diese Kategorien erschließt sich dem Lernenden über die Phase der Subjektivität, der moralischen Verantwortung des Einzelnen gegenüber der Allgemeinheit und über die politisch-rechtliche Dimension die Komplexität der Problematik. Für die rechtliche Auseinandersetzung dient das Embryonenschutzgesetz (ESchG), das am 1.1.1991 in Kraft getreten ist.

Unterrichtskonzeption

1. Konfrontation mit dem Fall (M1)
  2. Planungsphase über inhaltliche Schwerpunkte
  3. Soziale Perspektivität
  4. Urteilsbildung
     a) Verantwortungsethik
     b) Politische Urteilsbildung
  5. Reflexionsphase

M1 Fall Zeitungsartikel "59-jährige Frau wurde von Zwillingen entbunden"

(aus: Raabis Biologie April 1994, Oldenburgische Volkszeitung 28.12.1993)
Bisher älteste Frau in der Medizingeschichte
59jährige wurde von Zwillingen entbunden

London (dpa) - Als bisher älteste Frau in der Medizingeschichte ist eine 59jährige am Weihnachtstag in einer Londoner Klinik von Zwillingen entbunden worden. Wie der "Guardian" in seiner Montagsausgabe berichtet, handelt es sich um eine millionenschwere Geschäftsfrau, die sich in Rom von dem Spezialisten Severino Antinori die mit dem Sperma ihres 45jährigen Mannes befruchteten Eizellen einer 20jährigen Italienerin einpflanzen ließ. Nach einem Bericht des britischen Massenblatts "Sun" wurde die Zwillinge mit einem Kaiserschnitt entbunden.

Das Befruchtungsverfahren hatten die Behörden zuvor einem britischen Krankenhaus mit der Begründung untersagt, die Frau sei zu alt, um die emotionalen Belastungen einer Schwangerschaft auf sich zu nehmen. Der bisherige Altersrekord einer Zwillingsmutter wurde von der damals 53jährigen Amerikanerin May Shearing gehalten.

Literatur

  • Bayertz, Kurt (Hrsg.): Moralischer Konsens: Technische Eingriffe in die menschliche Fortpflanzung als Modellfall; Frankfurt/am Main,1996.
  • Beckmann, Jan D.: Fragen und Probleme einer medizinischen Ethik; Berlin/ New York, 1996.
  • Freudenberg, Andreas/ Röhring, Klaus/ Stennes, Norbert: Gentechnik; Frankfurt/am Main, 1996.
  • Günter, Hans - Ludwig/ Kaiser, Peter/ Keller, Rolf: Embryonenschutzgesetz: Kommentar zum Embronenschutzgesetz, Stuttgart, 1992.
  • Henkenborg, Peter: Die Unvermeidlichkeit der Moral: Ethische Herausforderungen für die politische Bildung in der Risikogesellschaft; Schwalbach/Ts., 1992.
  • Jonas, Hans: Technik, Medizin, Ethik: Zur Praxis des Prinzips Verantwortung; Frankfurt/am Main, 1990.
  • Kaminsky, Carmen: Embryonen, Ethik und Verantwortung; Tübingen, 1998.
  • Ottmar, C./ Stripf, R.: "Retortenbaby": Möglichkeiten der modernen Fortpflanzungsmedizin - Eine Unterrichtseinheit; in: Praxis der Naturwissenschaften Biologie 4/40 1991Jg., S.24-33.
  • Raabis Biologie: Ethisch relevante Fragen im Umgang mit dem Erbgut, 4/94.
  • Reinhardt, Sibylle: Werte- Bildung und politische Bildung, Opladen, 1999.
  • Sander, Wolfgang: Politische Bildung als fächerübergreifende Aufgabe der Schule; in Sander, Wolfgang (Hrsg.): Handbuch politische Bildung; Bonn, 1997, S.230-240.
  • Sutor, Bernhard: Politische Bildung als Praxis: Grundzüge eines didaktischen Konzepts; Schwalbach/Ts., 1994.

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