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Planspiel Wohnungssuche

Wir suchen eine Wohnung - Ein Planspiel

von Peter Weinbrenner


(erstmalig erschienen im Otto Maier Verlag Ravensburg, 1975), ergänzt um Auswertungen, Revision der Zahlen, Umstellung auf Euro durch S. Reinhardt (Stand 9/2002)

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Text und Unterrichtsphasen
reihe04_text.pdf (17 KB)  vom 19.02.2007

Materialien
reihe04_material.pdf (341,6 KB)  vom 19.02.2007

Auszug

Einführung in das Planspiel

Das Planspiel "Wir suchen eine Wohnung" behandelt eine alltägliche Such- und Entscheidungssituation, die nicht nur das unmittelbare Eigeninteresse betrifft, sondern die auch sehr gut für den Erwerb von kognitiven Strukturen zum Begreifen von Abläufen und Problemen der sozialen Marktwirtschaft geeignet ist. Es kann in unterschiedlichen Jahrgängen eingesetzt werden (von Klasse 6 bis zur Oberstufe - vgl. unten).

Planspiele sind - in aller Kürze gesagt - dadurch gekennzeichnet, dass die Trägerinnen und Träger von gesellschaftlichen Funktionen (hier sind das Wohnungssuchende, -anbieter, Zeitung und Makler) durch kleine Gruppen gespielt werden. Die Gruppen sichten ihre Situation (z.B. eine Familie, die eine andere Wohnung haben möchte), planen ihr Vorgehen (z.B. überlegen sie, wieviel Geld sie als Miete bezahlen wollen / können) und begeben sich auf den Wohnungsmarkt. Die Erfahrungen, die die Gruppen dort machen, veranlassen sie u.U. - falls sie nicht sogleich zum Zuge kommen - zu einer Revision ihrer Planung (z.B. planen sie als Nachfrager einen höheren Mietpreis ein oder als Anbieter akzeptieren sie eine geringere Mietforderung), mit der sie dann in der nächsten Runde auf den Markt gehen. Im Unterschied zu Rollenspielen geht es hier also erstens um das simulative Handeln von Funktionen (auch wenn diese als Personen einen Namen und eine ganz konkrete Lebenssituation haben) und zweitens um wiederholtes Entscheiden nach den Rückmeldungen durch die (simulierte) Realität und dann neuerliches Handeln.

Wie bei allen simulativen oder Spiel-Verfahren ist es für Bildungsprozesse zentral, dass der überdauernde Ertrag der Beschäftigung in einer Reflexions- bzw. Auswertungsphase erworben und gesichert wird. Deshalb ist in den Materialien die Auswertungsphase recht ausführlich beschrieben. Dabei geht es um eine abstrakte Vorstellung von "Markt" und um die sozialen Probleme, die das Geschehen hervorrufen kann, sowie Möglichkeiten der politischen Beeinflussung und ihre Abwägung. Diese kognitiven Vorstellungen sind künftig anwendbar auf viele unterschiedliche Märkte - es geht also auch um Methoden-Lernen und um den möglichen Transfer des erworbenen Wissens auf künftige Situationen. Dadurch, dass das Wissen in einer konkreten Entscheidungs- und Handlungssituation simulierend erworben wurde, ist es verständnisbasiertes (oder auch situiertes) Wissen. Dies hat eine höhere Chance des Erinnerns und des Anwendens als bloß gepauktes Wissen.

Ich habe das Planspiel häufig in achten Klassen durchgeführt. Es ist sehr wohl in Einzelstunden spielbar! Ein paar praktische Tipps:

  • Die Spielmaterialien müssen im Klassenschrank bleiben, damit sie in der nächsten Stunde garantiert wieder vorhanden sind.
  • Alle Gruppen können durchaus in demselben Raum spielen (Tische entsprechend rücken, Stellschilder vorbereiten etc. - s. die Hinweise in den Materialien) - bitte keine Ruhe erwarten, das geht bei interaktiven Verfahren wirklich nicht. Wie sollen Gruppen schweigen, wenn sie sich beraten und entscheiden sollen? Völlige gemeinsame Konzentration ist dann in den Auswertungen nötig.
  • Im Laufe des Spieles werden einige Gruppen entdecken, dass sie sich nicht unbedingt an die Zeitung und den Makler wenden müssen - die Anbieter bzw. Nachfrager sitzen ja in demselben Raum. In der Realität wären das die Such- und Angebotsvorgänge über Aushänge oder über Bekannte und Freunde. Der Vorgang ist also sinnvoll.
  • Besonders bei jüngeren Lernenden ist es naheliegend, als Hausaufgabe darum zu bitten, dass sie sich mit ihren Eltern über Mieten und Nebenkosten unterhalten - die Kinder und Jugendlichen haben manchmal keine Ahnung, was Miete etc. kostet! Aber bitte nicht konkrete finanzielle Auskünfte von den Eltern rauspressen lassen - da sind manche sehr empfindlich (Datenschutz auch gegenüber den eigenen Kindern).
  • In achten Klassen hat das Spiel mit den Auswertungsteilen ca. 6 Unterrichtsstunden verbraucht. Die Zeiten zwischen den Stunden sind kein Problem, da die Schülerinnen und Schüler sich ganz schnell an ihre Situation erinnern.

Ich habe das Planspiel außer in achten auch in zehnten Klassen und mit Studenten durchgeführt, in einer sechsten Klasse habe ich bei der Auswertung hospitiert. Das Material verändert sich gewissermaßen "selbsttätig", wenn es von unterschiedlich alten Kindern / Jugendlichen / Erwachsenen bearbeitet wird. Wie sind - nach meinen Erfahrungen - die Lerngruppen damit umgegangen?

Die Schülerinnen und Schüler der 6. Klassen beschrieben ziemlich konkretistisch, was gelaufen war. Abstraktere Koordinationsmechanismen, also der Markt, tauchten nicht auf, lediglich Anklänge an das Gegeneinander bzw. Miteinander von Anbietern und Nachfragern. Auf die Frage, wie alles hätte besser laufen können, legten die Lernenden den Schwerpunkt auf ihre Handlungsfähigkeit: sie erläuterten, wie sie sich bei der nächsten Wohnungssuche geschickter verhalten würden, welche Überlegungen sie zeitiger anstellen und welche Entscheidungen sie früher korrigieren würden. Es ging ihnen also um die bessere Anpassung an die gegebenen Regeln, die auf dem Wohnungsmarkt gelten, ohne dass diese Regeln oder ihr Zusammenhang geklärt oder gar beurteilt wurden. Es ging um das eigene Leben, für das der Unterricht als Hilfe empfunden wurde, und nicht um Einsichten in systematische Zusammenhänge. Lebenshilfe ist ein legitimes Ziel von Unterricht, auch wenn dabei noch keine Einsicht in ein gesellschaftliches Teilsystem zustande kommt.

Die Schülerinnen und Schüler der 8. und 10. Klassen waren an der geschickten Handhabung der Möglichkeiten, die das im Planspiel gegebenen Modell ihnen bot, gar nicht (mehr) interessiert - das können sie eben schon. Sie interessierte primär, wie dieses Koordinationssystem (Markt) konstruiert ist, welche Konsequenzen das für die Beteiligten hat, ob die Wirklichkeit so wie im Planspiel (das ja ein Modell darstellt) ist, ob man sich Alternativen ausdenken kann - dabei wurde an staatliche Sozialpolitik mit deren möglichen konkreten Maßnahmen gedacht. (Hier ist übrigens typisch, dass auch die staatliche Festlegung der Preise als Idee auftaucht - dann geht es darum, dass die längerfristigen Konsequenzen für den Wohnungsmarkt erörtert werden: bei einem recht niedrigen Preis würden Anbieter aus dem Markt verschwinden, weil sie ihre Ressourcen günstiger anderswo einsetzen könnten, so dass die Gefahr bestünde, dass die Versorgung auf dem Wohnungsmarkt langfristig schlecht würde.) In diesen Klassenstufen wurden also Einsichten in Zusammenhänge gesucht; beurteilt wurden die Abläufe und die sie hervorbringenden Regeln. - In einer Studentengruppe ging es im Grunde gar nicht mehr um die Suche oder das Angebot einer Wohnung, sondern dort stand sehr schnell die Frage nach unterschiedlichen Systemen für die wirtschaftliche Koordination im Mittelpunkt.

Die Prozesse der Bearbeitung werden also mit zunehmendem Alter und Lernen abstrakter, zunehmend viele Beteiligte und Betroffene werden in Gedanken berücksichtigt, ihre Interessen werden versucht zu integrieren; über gegebene Regeln wird allmählich hinausgegangen in den Entwurf hypothetischer Konstruktionen; die Frage nach der Gerechtigkeit wird allmählich nicht nur für das eine betroffene Subjekt formuliert, sondern auch für andere mögliche Beteiligte, für die Analyse und Beurteilung von Interessenkonflikten wird ein generalisierender Bezugspunkt gesucht. Kurzum: Die soziale Perspektive weitet sich und komplexere Vorgänge werden begreifbar. Das Planspiel ändert seinen Charakter, ohne dass damit ein Verlust an Lernchancen einträte, es passt sich gewissermaßen an die Lernenden an. Deshalb ist dieser Vorgang auch ein konkretes Beispiel für eine Spirale im sog. "Spiral-Curriculum".

Literatur

  • Sibylle Reinhardt: Didaktik der Sozialwissenschaften - gymnasiale Oberstufe. Sinn, Struktur, Lernprozesse. Opladen: Leske+Budrich 1997 (bes. Kapitel III: Unterrichtsbeispiele, darin "Das Geschehen auf dem Markt - die Behandlung im Unterricht", S. 90-108)

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