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Das Recht auf Verschmutzung

Gibt es ein Recht auf Verschmutzung?
Eine Unterrichtsreihe zum Dilemma Ökologie vs. Gerechtigkeit

von Andreas Dietz

(der Aufsatz ist abgedruckt in Gesellschaft - Wirtschaft - Politik 1/2004, S. 95-104)

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vollständiger Text mit Unterrichtsphasen (Tabelle und Erläuterungen)
reihe06_text.pdf (122,9 KB)  vom 19.02.2007

Unterrichtsmaterialien
reihe06_material.pdf (1,2 MB)  vom 19.02.2007

Auszug

Wertefragen in der politischen Bildung

Haben arme Staaten das Recht auf ungebremsten Ausstoß von Treibhausgasen, damit sie durch ökonomische Entwicklung die Armut der Menschen linden können? Diese Frage stellt die internationale Gemeinschaft auf jeder UN-Klimakonferenz erneut vor ein Dilemma. Dass es dabei um Werte geht, ist offensichtlich: Der langfristige Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen auf unserem Planeten steht dem Recht des Menschen auf angemessene Lebensbedingungen in vielen Teilen der Welt entgegen. Beide Anliegen sind von hoher moralischer Natur. Sie verkörpern universalisierungsfähige Werte und stiften bei vielen Jugendlichen Identifikation. Zugleich handelt es sich um eine Problematik, die die Menschheit - und somit auch eine verantwortliche politische Bildung - noch über viele Generationen hinweg beschäftigen wird. [...]

Die vorgeschlagene Unterrichtsreihe wurde für das Lernfeld der internationalen Beziehungen konzipiert. Das Lernfeld hat im vergangenen Jahrzehnt an Bedeutung gewonnen. Dieser Zuwachs resultiert aus dem zunehmenden Einfluss globaler Verflechtungen und medial vermittelter Ereignisse auf die Bewusstseinsbildung junger Menschen. [...] Problemfelder wie Armut, Menschenrechte, militärische Auseinandersetzungen, Klimawandel und Umweltzerstörung rücken damit - wenn auch immer nur zeitweise - ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Verinnerlichte Wertüberzeugungen werden herausgefordert. Gleichzeitig wird deutlich, dass sich viele Probleme nur noch durch transnationale Kooperation lösen lassen und wegen der Vielzahl der Akteure Kompromisse nötig werden, die ihrerseits vermeintlich universale Werte in Frage stellen. [...] Dabei geht es [...] um die Erkenntnis, dass in einer globalen Weltgesellschaft verschiedene Werte mit ähnlichen Geltungsansprüchen konfligieren und Gegenstand von politischen Aushandlungsprozessen sind.

Ökologie vs. Gerechtigkeit

Im Zentrum der Auseinandersetzungen um die Einwirkungen des Menschen auf das Klima stehen die sogenannten Spurengase der Atmosphäre. [...] Seit Beginn der Industrialisierung nahm die Konzentration an Kohlendioxid, Methan und den anderen Spurengasen zu. Der Treibhauseffekt wurde verstärkt. [...] Bei sich weiter verstärkendem anthropogenen Treibhauseffekt ist mit einem Anstieg der globalen Mitteltemperatur um bis zu 4°C zu rechnen. Die Auswirkungen dieser Entwicklung sind von ungeahntem Ausmaß. [...] Die Lage wird seit geraumer Zeit als sehr ernst eingeschätzt, nicht zuletzt auch deshalb, weil erste Folgen der Klimaveränderung schon eingetreten sind. Eine ganze Reihe von internationalen Konferenzen haben sich mit der Thematik befasst. [...]

Der zweite zentrale Sachzusammenhang ist nicht weniger komplex: das Problem der Unter- bzw. Fehlentwicklung vieler Staaten der sogenannten Dritten Welt. [...] In der Unterrichtsreihe wird das Beispiel Indien ins Blickfeld genommen. Allein in diesem Land lebten 1990 ein gutes Drittel der weltweit Armen. Neben Schwarzafrika ist Indien damit die Hauptarmutsregion der Welt. 287 Millionen Inderinnen und Inder leben in absoluter Armut - 25% der Gesamtbevölkerung des Landes. Die internationale Gemeinschaft hat sich des globalen Problems um Unterentwicklung schon seit Jahrzehnten angenommen. Doch wie dieses und andere gelöst werden sollen, ist eine offene Frage. Allen Bemühungen zum Trotz sind viele Entwicklungsländer immer tiefer in die Misere gerutscht.

Wirklich sicher ist lediglich die Einsicht, dass die wirksame Bekämpfung von Armut und Hunger mit einer umfassenden Demokratisierung und mit wirtschaftlicher Entwicklung einhergehen muss. Mit steigendem Wohlstand aber wachsen auch die Ansprüche an den Ressourcenverbrauch und mit dem Aufkommen von verarbeitendem Gewerbe und eines möglichen industriellen Sektors die treibhausrelevanten Emissionen. Was passiert, wenn sich die Milliardenvölker China und Indien dazu entschließen sollten, eine ähnlich geartete individualisierte und motorisierte Mobilität an den Tag zu legen, wie wir es tun? Hier offenbart sich das Dilemma um das "Recht auf Verschmutzung". [...]

Es wird die Frage gestellt werden, ob wir es tatsächlich mit einem echten Dilemma zu tun haben, oder ob es nicht vielleicht doch eine Alternative gäbe, eine Art wert-integrierenden Ansatz. Man mag diese Frage mit Verweis auf das Konzept der Nachhaltigkeit beantworten. [Doch] Nachhaltigkeit ist ein sehr stark normatives Konzept, das nicht nur den Ländern des Südens einen Handlungsbedarf zuschreibt, sondern auch denen des Nordens. Die Problemannahme ist nicht mehr die Unterentwicklung der Dritten Welt, sondern eine allseitige Fehlentwicklung, der nur mit einem umfassenden ökologischen, ökonomischen und sozialen Umbau im Süden wie im Norden zu begegnen ist. [...] Es ist eine Frage des Wohlstandes und damit eine Frage von Werten.

Konzeption der Unterrichtsreihe als Konfliktanalyse

In der Unterrichtsreihe soll der Wertekonflikt, wie er auf einer UN-Konferenz entbrennt, analysiert werden. Dazu eignet sich die Methode der Konfliktanalyse nach Hermann Giesecke. Ein Konflikt wird anhand von Kategorien durchdrungen (Macht, Recht, Interesse usw.), die nach Bedarf gewählt, verändert oder erweitert werden können. Bei einer solchen Analyse und Beurteilung aller für den Konflikt entscheidenden Fragen wird ein differenzierter Zugang ermöglicht. Zugleich bekommt der Lernende ein Instrumentarium (Kategorien und Phasen) an die Hand, um zukünftig eigenständig Konflikte beurteilen zu können. Die gewonnenen Informationen sind die beste Entscheidungsgrundlage - auch bei moralischen Urteilen. Zur hier vorgeschlagenen Konfliktanalyse gehören individuelle Stellungnahmen und ein Kontroversverfahren. Die Kontroverse ermöglicht den Wertekonflikt. So wird moralisch-politisches Urteilen im Kommunikationszusammenhang der ganzen Klasse möglich.

Die Unterrichtsreihe beginnt in der Konfrontation mit dem Dilemma und ersten Stellungnahmen (Phase I). Die Konfliktanalyse anhand von Kategorien (Phase II) schließt sich direkt daran an. Es folgen das Kontroversverfahren (Phase III) und die Suche nach Lösungsansätzen (Phase IV). Die Reihe endet schließlich mit einer Systematisierung und Reflexion (Phase V). [...]

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